Allerheiligen und Allerseelen konfrontiert uns besonders mit dem Tod und unserer Sterblichkeit - Themen, die immer noch mit einem Tabu behaftet sind. Das Wegschieben und Ausklammern schneidet uns aber von einer wichtigen Lebens- und Erkenntnisquelle ab.
"Um des Lebens willen beschäftigen wir uns mit dem Tod", sagt Dr. Franz Schmatz, ein Pionier der österreichischen Hospizbewegung, der seit über 40 Jahren sterbende Menschen begleitet. Wie kommt er auf diesen paradox wirkenden Gedanken?
Rechtzeitig leben
Im Angesicht des Todes werden Menschen immer ehrlicher, wahrhaftiger, kompromissloser. Es stimmt, dass Sterbende manchmal keine Hoffnung finden und in Verbitterung, Verzweiflung und Sinnlosigkeit bleiben. Oft verdichtet sich das Leben aber gerade in den letzten Wochen, Tagen und Stunden zu besonderer Fülle. Sterbende beschenken ihre Begleiter/innen dann mit leuchtender Lebensweisheit und erinnern uns, wie kostbar unsere geschenkte Zeit ist. Ihre Botschaft ist: "Fang rechtzeitig an, bewusst und intensiv zu leben!".
"Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben,
sondern den Tagen mehr Leben."
(Cicely Saunders)
Was im Leben wirklich zählt
Wenn der nahende Tod die Augen für das Leben öffnet, sprechen Menschen davon, was sie tun möchten, wenn sie noch Zeit und Kraft dafür bekommen, was sie tun würden, wenn sie ihre Lebenszeit nochmals bekämen. Es kristallisiert sich dann heraus, was die Essenz eines erfüllten Lebens ist, welche Dinge wirklich wichtig sind. Oft sehen wir erst im Angesicht des Todes, was wir versäumt haben. Umso wertvoller ist es, sich diese Gedanken zu Herzen zu nehmen, solange wir mitten im Leben stehen und noch Zeit haben, einiges davon umzusetzen. Ich möchte aus den Büchern "Zeit zu leben" von Franz Schmatz und "Hätte ich doch..." von Doris Tropper einige dieser Botschaften zitieren - die Auswahl ist natürlich subjektiv und davon bestimmt, was mich auch ganz persönlich betrifft und anspricht:
Lebenseinladungen
Ich will mehr genießen.
Ich will klar sagen, was mich bewegt und aufzeigen, was mir nicht gefällt.
Ich will meinen Tag anders beginnen.
Ich will öfter auf andere zugehen.
Ich scheue mich nicht, als verrückt zu gelten.
Ich möchte meine Kreativität entfalten.
Ich will nicht mehr so viele Informationen aufnehmen.
Ich löse mich von Lebensvorstellungen meiner Vorfahren.
Ich will mutiger und selbstbewusster sein.
Ich will mich weniger sorgen.
"Begleite mich im Sterben, dann lehre ich dich leben" (Franz Schmatz)
Ich lasse mich gerade bei der CARITAS zur ehrenamtlichen Sterbe- und Trauerbegleiterin ausbilden. Viele Jahre schon trage ich diese Idee mit mir herum. Ich weiß zwar aus Besuchsdiensten im Altersheim, dass mir der Umgang mit alten Menschen liegt, aber was mich wirklich bei der Begleitung Todkranker und Sterbender erwartet, das kenne ich noch nicht aus Erfahrung. Ja, ich spüre Unsicherheit. Aber diese ist immer da, wenn wir uns an Unbekanntes wagen, unsere bekannte, sichere Komfortzone verlassen.
Doris Troppers Beschreibung "guter" Sterbebegleitung gibt mir Mut und Zuversicht, dass es genau das Richtige für mich sein könnte: "Einfach da sein und gut zuhören, sich führen lassen. Über weite Strecken ist es wohl die stillste und leiseste "Arbeit", die es gibt". Franz Schmatz drückt es so aus: "In der Sterbebegleitung geht es in erster Linie um das achtsame, horchende, spürende und gut wahrnehmende Da-sein. Das Sprechen und die Aktivitäten treten in den Hintergrund und dem SEIN wird Raum gegeben. So wird auch oft die staunende Stille und die sich ausbreitende Leere zu einer tiefen spirituellen Erfahrung. Wer dafür aus eigener Lebenserfahrung offen ist, kann oft mit dem Sterbenden gemeinsam erleben, wie Leben sich verdichten kann, wenn alles rundherum losgelassen wird. Das sind die ganz großen kostbaren Geschenke, die wir Begleitenden bekommen".
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